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Schweizer Blasmusik-Dirigentenverband

Übetechnik

Üben in der Probe – oder das Proben üben

06. Februar 2024
von Theo Martin
In diesem Maestro-Beitrag geht es um das richtige Üben. Ernst May erklärt, wie das Proben geübt wird.

Fachbeitrag von BDV-Vizepräsident Ernst May

  

 

«Üben ist eine Form des Lernens, welche Konzentration, Ausdauer, Sorgfalt und Systematik verlangt. Sie besteht im Wiederholen einer Tätigkeit, gleichgültig, ob diese sich innerlich oder äusserlich vollzieht. Das Wiederholen richtet sich teils auf gleichbleibende, teils auf wechselnde Aspekte und soll zur Verbesserung und Automatisierung der Tätigkeit führen. Der Erfolg zeigt sich im sicheren, fehlerfreien, schnellen und anstrengungslosen Ausführen der Tätigkeit.»

Prof. Dr. Anselm Ernst (Musikpädagoge, Philosoph, Erziehungswissenschaftler)

 

«Eines der wichtigsten Geheimnisse erfolgreichen Übens liegt im Experiment: Ausprobieren, Wahrnehmen, Selbstorganisation, Motivation, Autonomie und Liebe zur Musik sind die Zutaten.»

Prof. Dr. Eckart Altenmüller (Arzt, Musikphysiologe, Neuropsychologe, Musiker)

 

Einführung
Mit diesen Zitaten soll auf einen feinen Unterschied hingewiesen werden, nämlich die Tatsache, dass Ernst von einem «Erfolg des Übens», Altenmüller aber von «erfolgreichem Üben» spricht. Während für Ernst das Üben Mittel zum Zweck ist, ist für Altenmüller das Üben selbst eine Kunst: Der Weg ist das Ziel.

Jegliche musikalische Tätigkeit ist darauf ausgerichtet, die Zuhörerschaft emotional zu berühren. Jahrhunderte lang basierte das Meister-/Schüler-System der Musikvermittlung auf einem «hörenden Lernen» und einem umfassenden Verständnis der Rhetorik und der Affektenlehre – dem Wissen von der Bedeutung der Musik und der durch sie transportierten Emotionen sowie Kenntnis der Mittel, mit denen diese ausgedrückt werden können.

Seit dem 19. Jahrhundert hat sich aber die Tendenz, das Musizieren in erster Linie unter technischen Gesichtspunkten zu sehen, mehr und mehr manifestiert. Das Virtuosentum breitete sich aus, das endlose Wiederholen motorischer Abläufe prägte den Übe-Alltag und dank wissenschaftlicher Möglichkeiten wollte man alles kontrollieren, analysieren und verstehen.

Allerdings haben wir alle schon die Erfahrung gemacht, dass uns diese letztgenannten Bedürfnisse oft im Weg stehen, wenn es darum geht, effizient und erfolgreich zu lernen und zu konzertieren. Wir brauchen ein ganzheitlich geprägtes Verständnis von der Musik und von uns selbst. Alle haben wir auch schon schmerzlich erfahren, dass spontane Fortschritte beim instrumentalen Üben oder in der Probe nicht gleichzusetzen sind mit nachhaltigen, verlässlichen Lernfortschritten, die sich später dann auch am Konzert abrufen lassen.

Üben in der Probe
Immer wieder wird die Effizienz unserer Probenarbeit dadurch beeinträchtigt, dass viele Orchestermitglieder «nicht geübt» haben, während andere ihre Stimme bereits beherrschen. Wie gehen wir mit dieser Situation um? Wenn wir uns nicht die Zeit und die Mühe nehmen, dem einzelnen, vielleicht auch überforderten Mitglied elementare Übtechniken und musikalische Sachverhalte näherzubringen und dies auch exemplarisch an Ort und Stelle zu praktizieren, kann es sein, dass sich dieses Mitglied vernachlässigt und «abgehängt» vorkommt, und die Motivation verliert.

Ebenso kann die Motivation derjenigen leiden, die gut vorbereitet in die Probe kommen, und die dank ihrem Können oder dadurch, dass sie eben «geübt» haben, keine diesbezüglichen Grundanleitungen mehr brauchen.

Das Proben üben
Wenn man im Zitat von Prof. Altenmüller das Wort «Üben» durch das Wort «Proben» ersetzt, wird ersichtlich, dass es nicht nur eine «Kunst des Übens», sondern auch eine «Kunst des Probens» gibt. Das heisst doch, dass die einzelne Probe nicht nur eine sportliche Trainingseinheit darstellen soll, in welcher an messbaren Faktoren wie Intonation, Artikulation sowie metrischer und rhythmischer Präzision mittels Wiederholung und fehlerfreier Automatisierung gefeilt wird. Wobei auch diese Art von «Üben» ihre Berechtigung hat, wenn der Übegegenstand auf die unterschiedlichen Fähigkeiten der Ausführenden angepasst ist.

Das Proben ist also durchaus Mittel zum Zweck, nämlich denjenigen, ein gelungenes Konzert durchzuführen: Der «Erfolg des Probens»! «Erfolgreiches Proben» ist aber auch eine Kunst, die von uns Dirigentinnen und Dirigenten geübt und erlernt werden kann.

Die wichtige Frage lautet, wie die Probe derart gestaltet werden kann, dass sie ein Feld bietet, in dem probiert, experimentiert und Musik erlebt werden kann. Die Mechanisierung von Abläufen z.B. beim «Einspielen» ist kontraproduktiv; vom ersten Ton an sollte es um Musik, d.h. die ausdrucksvolle Vermittlung musikalischer Inhalte gehen. Die Individualität des Orchestermitglieds muss einbezogen werden und es muss ermutigt werden, sich selbst zu sein und gleichzeitig über sich hinauszugehen.

Dies ist unsere Aufgabe, und mit einer übergeordneten Sichtweise fällt es einfacher, mit der Heterogenität im Amateurorchester fertig zu werden: Während die Profiformation vorrangig auf das künstlerische Endprodukt und dessen Wirkung auf die Zuhörerschaft zielt, will das Amateurmusizieren auch zwischen Kunst und Menschen, die nicht von Berufs wegen Musik ausüben, vermitteln. Die Probe ist das Ziel, und mit entsprechenden musikalischen, ganzheitlichen Inhalten können sowohl starke als auch schwache Instrumentalistinnen und Instrumentalisten motiviert werden, stets ihr Bestes zu geben.

 

Das ist die Langfassung des Artikels, der im Maestro I (Unisono vom Februar) erscheinen wird!

Größe: 1.69 mb