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Schweizer Blasmusik-Dirigentenverband

Studie

Langzeitstudie zeigt, wie Musikunterricht das Gehirn von Kindern formt

12. März 2024
von Theo Martin
Die ersten schiefen Töne auf einem Blasinstrument sind kein Genuss. Doch für die jungen Menschen ist es ein wertvolles Training für ihr Gehör, von dem sie noch bis ins hohe Alter profitieren. Vermutet wurde das bereits länger, eine zwölfjährige Langzeitstudie der Universität Graz liefert nun erste Hinweise, welche diese Annahme untermauern.

 Musikalität scheint im Gehirn bereits zu einem gewissen Grad angelegt zu sein. Allerdings zeigten sich auch durch das Musizieren direkt bedingte Veränderungen im Gehirn. 

Gemeinsam haben Annemarie Seither-Preisler und Peter Schneider vom Institut für Psychologie der Universität Graz (Arbeitsbereich Musikpsychologie und Gehirnforschung) 220 Kinder zwischen dem 8. und 18. Lebensjahr in ihrer musikalischen Entwicklung begleitet. Rund die Hälfte war im Laufe ihrer Entwicklung von unterschiedlichen Entwicklungsproblemen wie ADHS, ADS oder Lese-Rechtschreibschwäche betroffen. Im „The Journal of Neuroscience“ wurden soeben jene Ergebnisse dieser Studie publiziert, die sich mit den Proband:innen beschäftigt, deren Entwicklung unauffällig war. Das schreibt die Universität Graz auf ihrer Website.

Die Ergebnisse sind eindeutig: Kinder mit Musiktraining konnten nicht nur Tonhöhen, Klangfarben, Tondauern und Rhythmen wesentlich besser unterscheiden, sondern waren mit zunehmendem Alter auch besser in der Lage, den Grundton harmonischer Klänge zu erkennen. Letzteres ist eine wesentliche Voraussetzung, um etwa in einem Orchester verschiedene Instrumente und deren Melodien herauszuhören oder den emotionalen Gehalt eines Gesprächs richtig zu deuten, der sich im Tonhöhenverlauf ausdrückt. Letztlich geht es aber nicht nur um musikalische Fertigkeiten.

Mehr Nervenzellen

Auch die Grösse und Form der Hörareale im Gehirn der musizierenden und nicht musizierenden Probandinnen und Probanden zeigten markante Unterschiede. Überraschenderweise bestanden diese individuellen anatomischen Merkmale bereits zu Beginn der Studie, wobei hohe Volumina an grauer Substanz (Nervenzellen des Grosshirns)eine hohe Motivation zum späteren Musizieren vorhersagten.

Mit anderen Worten: Musikalität scheint bereits zu einem gewissen Grad angelegt zu sein. Allerdings zeigten sich auch durch das Musizieren direkt bedingte Veränderungen im Gehirn. So war die Aktivierung der erwähnten Hirnareale umso stärker, je mehr in der Kindheit und Jugend musiziert wurde. Das Musizieren trainiert also auch unabhängig von der individuellen Begabung das Gehirn.

Spielerischer Zugang zur Musik

Was bedeutet das für Eltern? „Es ist empfehlenswert, möglichst jedem Kind einen zunächst spielerischen Zugang zur Musik zu ermöglichen. Denn Musizieren und Singen ist eine Investition in die Wahrnehmung der Welt, die uns umgibt. Spätere kognitive Fähigkeiten bauen zu einem grossen Teil auf der Fähigkeit, unsere Welt in differenzierter Weise sinnlich wahrzunehmen, auf“, sagt die Studienautorin Seither-Preisler auf der Website.

Zukünftige Forschungen haben nun das Ziel, das Potenzial des musikalischen Hörens bei Kindern und Jugendlichen mit Lern- und Entwicklungsauffälligkeiten mithilfe von aktiven Hörtrainingsprogrammen zu fördern. Denn vielfach bestehen zeitgleich auch Probleme bei der akustischen Wahrnehmung und der Kommunikation. Insbesondere sollen solche Trainings an Personen mit Autismusspektrumstörung, AD(H)S und Lese-Rechtschreibschwäche erprobt werden.

Publikation

Neuroanatomical Disposition, Natural Development, and Training-Induced Plasticity of the Human Auditory System from Childhood to Adulthood: A 12-Year Study in Musicians and Nonmusicians; Peter Schneider, Dorte Engelmann, Christine Groß, Valdis Bernhofs, Elke Hofmann, Markus Christiner, Jan Benner, Steffen Bücher, Alexander Ludwig, Bettina L. Serrallach, Bettina M. Zeidler, Sabrina Turker, Richard Parncutt and Annemarie Seither-Preisler

 
Größe: 1.69 mb