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Schweizer Blasmusik-Dirigentenverband

"Gehörschutz wurde in die richtige Richtung korrigiert"

21. Oktober 2019
von Theo Martin

Der Bundesrat hat die Schallschutz-Massnahmen zwar verschärft. Bei Veranstaltungen ohne elektroakkustisch verstärkten Schall hat er allerdings eine Kehrtwende vollzogen. Ein Gespräch mit dem Präsidenten des Seeländischen Musikverbands.

Bericht aus dem Bieler Tagblatt vom 19. Oktober 2019

Der Aufschrei war gross, als das Bundesamt für Gesundheit vor einem Jahr seine Vorschläge für einen verstärkten Schallschutz in die Vernehmlassung geschickt hat. Inzwischen hat der Bundesrat zwar die Verordnung erlassen, dabei aber die vormals geplanten Verschärfungen weitgehend gestrichen. So müssen nun bei Veranstaltungen ohne elektroakkustisch verstärkten Schall erst ab einem mittleren Schallpegel über 93 Dezibel Massnahmen ergriffen werden. Martin Scherer, Präsident des Seeländischen Musikverbandes, beurteilt Informationspflicht und kostenlose Abgabe von Gehörstöpseln positiv.

Martin Scherer, sind Sie überrascht, dass der Bundesrat die Verschärfung fast heimlich zurückgezogen hat?

Martin Scherer: Ich bin positiv überrascht. Der Antrag wurde nun in die richtige Richtung korrigiert. Ich habe von Anfang an das Gefühl gehabt, dass man zu viele Einschränkungen wollte. Es ist wie im Strassenverkehr und auf Spielplätzen an. Wer dem Bürger zu viel Sicherheit vermitteln will, verleitet ihn selber weniger vorsichtig zu sein – das ist hier genau gleich. Wenn das Aufzeichnen, die Kontrolle und der Gehörschutz obligatorisch sind, entfällt der Zwang, selber nachzudenken. Jeder sollte selber mündig sein und abschätzen was er will.

Was haben Sie denn befürchtet?

Wir mussten mit dem ersten Entwurf annehmen, dass die Vereine bei der Durchführung eines Konzerts so viele Auflagen gehabt hätten, dass es finanziell kaum mehr tragbar gewesen wäre. Allein die obligatorischen Messungen hätten mehrere tausend Franken gekostet.

Ist die Blasmusik trotzdem von der neuen Verordnung betroffen?

Ich gehe schon davon aus. Ich habe selber noch nie gemessen und weiss auch nicht, wie zuverlässig die auf dem Markt verfügbaren Apps sind. Bei einem grösseren Orchester können 93 Dezibel vermutlich schon erreicht werden, aber wohl nicht als Dauerbeschallung während einer Stunde. Die 93 Dezibel als Durchschnitt werden kaum eine Stunde lang überschritten. Das muss natürlich noch genauer geklärt werden, damit auch die Vereine einen Anhaltspunkt haben. Es wäre interessant zu wissen, wie laut Konzertstücke, Unterhaltungsmusik, Märsche und Polkas wirklich gespielt werden.

Das Bundesamt für Gesundheit spricht nun von geringen Mehrkosten. Stimmt das?

Die Kosten bei Konzerten im unverstärkten Bereich sind sicher tragbar. Falls die 93 Dezibel als Durchschnitt einer Stunde überschritten werden, muss das Publikum auf die mögliche Schädigung des Gehörs hingewiesen werden. Das kostet nichts. Dazu muss sich das Publikum mit Gehörstöpseln eindecken können. Es wird sich aber nicht jeder Konzertbesucher damit vor Ort bedienen. Denn man sieht heute schon, dass Eltern ihre Kleinkinder mit einem Pamir schützen. Die Selbstverantwortung ist vielen bewusst – sie wissen, was ein Gehör wert ist. Und je mehr Gehörschütze gebraucht werden, desto billiger werden sie auch hergestellt.

Die Vereine bieten an Festen teilweise auch verstärkte Musik an. Was müssen sie beachten?

Da ist mir noch nicht klar, ob zum Beispiel ein DJ nach dem Konzert dazu gezählt wird oder separat beurteilt werden muss. Bei Tanzveranstaltungen habe noch nie Lautstärken-Anzeigen gesehen. In welche Kategorie fällt ein Konzert von zwei Stunden Dauer, wenn ein einzelnes Solo verstärkt wird? Möglicherweise braucht es zuerst ein paar Beurteilungen der Kontrollstelle. Bei einem neuen Gesetz ist es meist so, dass man sich langsam herantasten muss, was noch toleriert wird. Ich gehe eher davon aus, dass unsere Konzerte vorläufig als unverstärkt gelten und daher nicht meldepflichtig sind. Es braucht höchstens Informationen und die Abgabe eines Gehörschutzes – wenn die 93 dB während einer Stunde übertroffen werden. Letztlich gilt für mich das Gesamtbild der Musik. Wir spielen lieber schön als laut.

Ist Ihnen der Gehörschutz also nicht so wichtig?

Ich sage: Jeder muss selber spüren, wo es ihm "weh" tut. Jeder muss selber die Verantwortung übernehmen. Das Gehör ist etwas vom wichtigsten für die Musikantinnen und Musikanten. Somit ist jeder gehalten, sich nicht zu schämen und falls nötig nach einem Gehörschutz zu fragen. Ich habe selber auch schon während der Musikprobe einen Gehörschutz getragen. Es ist kein negatives Signal, dieses Schutzmittel einzusetzen. An Blasmusikkonzerten hatte ich aber noch nie das Bedürfnis oder das Gefühl gehabt, mein Gehör schützen zu müssen. Interview: Theo Martin

 Bieler Tagblatt

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